DAS FÜNFZEHNTE JAHRBUCH ist vorwiegend den späten Arbeiten Mays gewidmet und zeigt erneut, dass Umfang und Intensität der May-Forschung in ständigem Wachsen begriffen sind.
Voransteht (mit einer Einführung von Hans Wollschläger) ein umfangreiches, hier größtenteils zum ersten Male veröffentlichtes Briefkonvolut Karl Mays, das die Entstehung des Altersromans “Ardistan und Dschinnistan” begleitet; es macht in erschütternder Weise deutlich, welch extremen Lebensbelastungen Karl May sein opus grande hat abgewinnen müssen.
Bei den anschließenden sekundär-literarischen Arbeiten steht nicht mehr das Bemühen um eine Gesamtcharakteristik ganzer Schaffensbereiche, sondern die detaillierte Analyse einzelner Werke und Motive im Vordergrund.
- Helmut Schmiedt untersucht “Dichtung und Wahrheit” in der Autobiographie Mays,
- während Heinz Stolte den biblischen Hiob-Mythos für die Deutung wichtiger Selbstzeugnisse des Schriftstellers fruchtbar macht.
- Günter Scholdt liefert für den letzten Roman Karl Mays, “Winnetou IV”, eine facettenreiche Interpretation, die ganz neue Dimensionen des viel behandelten Buches sichtbar werden lässt.
- Hartmut Wörner erklärt die Dichotomie von Wüste und Wasser, Tod und Leben, Krieg und Frieden als zentrales Motiv von “Ardistan und Dschinnistan”.
- Den einzigen erzgebirgischen Erzählungen, die May im Alter noch geschrieben hat (“Sonnenscheinchen” und “Das Geldmännle”) widmen Hartmut Vollmer und Christoph F. Lorenz erstmals umfassende Studien; sie lassen erkennen, dass diese späten heimatlichen Novellen als hochkomplexe, in die überlieferte Dorfgeschichten-Tradition nicht mehr ein zuordnende Texte darstellen.
Die Periode der Reiseerzählungen Mays wird in drei Abhandlungen aus sehr verschiedener Sicht zum Gegenstand eingehender Exegese gemacht.
- Walther Ilmer entschlüsselt “Die Todes-Karavane”, ein Teilstück aus Mays Orientzyklus, das in “Von Bagdad nach Stambul” eingegangen ist, als literarische Umsetzung und als Versuch einer psychischen Bewältigung der kriminellen Vergangenheit Karl Mays.
- Martin Lowsky beschäftigt sich mit dem “Krumir” (später in: “Orangen und Datteln”), indem er Mays erzähltechnische Mittel und die Art, in der er zeitgeschichtliche Ereignisse literarisch verwertete, untersucht. Dabei ergibt sich, dass man dies Stück Abenteuerschriftstellerei auch als Satire auf die imperialistische Politik der europäischen Großmächte lesen kann.
- Dieter Sudhoff gibt eine umfassende Auslegung der Novelle “Mutterliebe”, die zu den späten Reiseerzählungstexten gehört (1897) und bisher fast unbeachtet geblieben war; er weist nach, dass sich in dieser literarisch noch konventionellen Wildwest-Geschichte das gewandelte Weltbild des Spätwerks schon ankündigt.
- Die Auffindung eines bisher unbekannten May-Feuilletons, “Theater”, gibt Ekkehard Bartsch Veranlassung, Mays lebenslange Theaterleidenschaft sorgfältig zu dokumentieren.
- Gabriele Wolff stellt George Catlins “Die Indianer Nord-Amerikas” als eine der wichtigsten Quellen für Mays ‘Winnetou’ vor.
- Ein Literaturbericht von Helmut Schmiedt und ein Arbeitsbericht von Erich Heinemann beschließen das bisher um fangreichste Jahrbuch der Reihe.
Es bezeugt von Neuem, ein wie unerschöpftes und ertragreiches Arbeitsfeld die Karl-May-Forschung bietet.