DAS SECHZEHNTE JAHRBUCH eröffnet Heinz Stolte mit dem Festvortrag, den er auf der 8. Tagung der Karl-May-Gesellschaft im September 1985 in Königswinter gehalten hat. Die Veröffentlichung in diesem Jahrbuch, also im Jahre 1986, erinnert daran, dass vor fünfzig Jahren der Verfasser mit seiner Arbeit “Der Volksschriftsteller Karl May. Beitrag zur literarischen Volkskunde” die Doktorwürde erlangte.
Deutschen Emigranten war das ein deutliches Symptom für den “Niedergang der deutschen Alma mater, insonderheit der Philosophischen Fakultät Jenas” (Günter Scholdt hat sich im Jahrbuch 1984 damit befasst). Nun: nicht nur das sechzehnte Jahrbuch beweist, dass diese Einschätzung unbegründet war. Heinz Stolte – den die Friedrich-Schiller-Universität zur 50. Wiederkehr des Tages, an dem ihm die Doktorwürde verliehen wurde, beglückwünschte – erschloss vielmehr mit der ersten Dissertation über Karl May ein Arbeitsgebiet, das bis dahin nicht die gebührende Aufmerksamkeit gefunden hatte. Bis zu welchen Perspektiven sich die Forschung einmal fortentwickeln würde, war damals freilich nicht entfernt abzusehen, und auch heute sind wir der “Lösung” der “ganzen May-Frage” noch durchaus nicht nahe.
Mit der Forschung hat sich auch die Rätselhaftigkeit des Themas weiter entwickelt und vergrößert, und nicht zuletzt gehört zum Glanz des Mayschen Werks, dass es der in einem Halbjahrhundert gewachsenen wissenschaftlichen Herausforderung nicht nur standgehalten hat, sondern in seinerzeit ungeahnt überlegener Weise gewachsen geblieben ist: – es wird den Gelehrten weiter zu denken geben.
- Stoltes “Fiedler auf dem Dach” folgt
- eine Form-Untersuchung des Winnetou-Romans durch Helmut Schmiedt.
- Gert Ueding durchleuchtet das Arzt-Motiv in Mays Werk, und
- Erwin Koppen befasst sich mit den Quellen und Eigenarten von Karl Mays China-Bild.
- Ihnen treten bewährte Autoren wie Dieter Sudhoff, Hartmut Vollmer und Ekkehard Koch mit neuen Interpretationen von May-Figuren und -motiven an die Seite, die ein weiteres Mal beweisen, wie gleicherweise ergiebig das Früh- wie das Spätwerk sich der Forschung mittlerweile darstellt.
- Von Karl May selbst erscheint ein frühes Erzähl-Fragment, das Herbert Meier kommentiert, und
- einen auffallenden Charakterzug des Autors sucht Kurt Langer anhand eines von Michael Balint gegebenen Modells tiefenpsychologisch verständlich zu machen.
- In Grenzgebiete schließlich dringt, auf freilich außerordentliche Weise, die Untersuchung von Johanna Bossinade vor: sie fordert zum Weiterdenken nicht weniger heraus als vielleicht zum Widerspruch, sie wird aber jedenfalls – neben der Arbeit von Kunicki/Honsza – allen als Zeugnis dafür willkommen sein, dass auch die ausländische Germanistik sich unserem Thema zu öffnen beginnt.
- Der Bericht Erich Heinemanns über die Tagung in Königswinter beschließt das wiederum gehaltvolle Jahrbuch.
Fünfzig Jahre Karl-May-Forschung: wohl ein Jubiläum, das zum Gedenken und Danken anhält.